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Wikinger fielen auf billige Schwert-Kopien herein

Von Angelika Franz

Das absolute Spitzen-Schwert des Frühmittelalters kam aus der Schmiede des sagenumwobenen Meisters Ulfberht. Doch bei weitem nicht alle Stücke mit dieser Marke waren echt. Im schlimmsten Fall wurde die Kopie erst im Kampf entlarvt - wenn die angebliche Wunderwaffe zersplitterte.

Mit einer Rolex für 20 Euro vom Straßenhändler sollte man tunlichst nicht tauchen gehen. Und eine Prada-Jeans aus dem Tunesienurlaub bekommt nach spätestens drei Wäschen kleine Ausstülpungen an den Nähten, die wie hundertfach vergrößerte Cellulitebeulen aussehen. Das ist okay, das nimmt man in Kauf.

Mit wirklich gravierenden Problemen sah sich jedoch ein Wikinger im frühen Mittelalter konfrontiert, wenn er entdeckte, dass sein Ulfberht kein echtes Ulfberht war. Denn die Plagiate dieser hochwertigen Schwerter konnten ihn Kopf und Kragen kosten.

"Ein echtes Ulfberht hat eine Schneide, die immer scharf bleibt, egal wie oft man sie schleift", erklärt Alan Williams von der Wallace Collection in London die Qualität der Originale. Der Archäometallurge hat die Schwerter mit dem markanten Namenszug aus Sammlungen in England und Deutschland untersucht. Äußerlich sind die Klingen auf ersten Blick kaum voneinander zu unterscheiden. Doch dann wurde er stutzig. Während die Klingen einiger Ulfberht-Schwerter einen für ihre Zeit phänomenal hohen Kohlenstoffgehalt aufweisen, entpuppten sich andere als ganz gewöhnliche Massenware.

"Das Geheimnis", verrät Williams im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE, "liegt im verwendeten Ausgangsmaterial". Gewöhnliche Wikingerschmiede gewannen das während des 9. und 10. Jahrhundert in sogenannten Rennöfen. Darin erhitzten sie Eisenerz mit Holzkohle auf rund 1200 Grad Celsius, bis der Abfall - die sogenannte Schlacke - abfloss. Übrig blieb ein Klumpen Stahl, die "Ofensau". Die war jedoch alles andere als homogen und musste erst noch mühsam ausgeschmiedet werden.

Fast alle Schwerter jener Zeit haben deshalb in ihrem Inneren ein weiches Herz aus Eisen. Nur die äußere Schicht – an den tödlich scharfen Kanten - ist aus hartem Stahl.

Nicht so jedoch die Schwerter des Ulfberht. Die hatten auch ein stählernes Herz. Das kam vom anderen Ende der Welt - aus Afghanistan, Persien oder gar Indien. Ulfberht kaufte von Händlern, die im frühen Mittelalter Waren aus dem Fernen Orient über das Kaspische Meer und die Wolga hinauf nach Skandinavien schafften. Sie waren häufige Gäste im kalten Norden.

Archäologen munkeln, es lägen mehr Silbermünzen der persischen Samanidendynastie (815 - 1005 nach Christus) in schwedischer Erde als in ihrer Heimat nahe der afghanischen Silberminen. Auf ihren Packtieren brachten die Händler dem Ulfberht dunkle Barren: Stahl, von einer im Abendland ungekannten Qualität.

Dafür wurde Renneisen nochmals tagelang zusammen mit Kohle bei 1300 bis 1400 Grad Celsius in luftdichten Tiegeln erhitzt, bis es sich gänzlich von der Schlacke trennte. Das Ergebnis war ein extrem kohlehaltiger Tiegelstahl, elastisch genug, um durchgängige Klingen aus ihm zu schmieden. Aber trotzdem so hart, dass die Schneiden scharf blieben – für immer.

Wer war dieser Meisterschmied mit den weitreichenden Handelsbeziehungen? "Wir wissen es nicht", gibt Williams zu. "Aber mit großer Wahrscheinlichkeit kennzeichneten auch seine Erben noch ihre Schwerter mit dem Namen – sonst wäre er an die 300 Jahre alt geworden."

Der exotische Hauch der Marke Ulfberht

Ulfberht war also viel eher eine Marke als der Rufname eines begabten Schmiedes. Die Mehrzahl der Schwerter mit dieser Kennzeichnung fanden die Archäologen in Skandinavien und an der Ostseeküste. Der Name aber weist in eine andere Richtung: Ulfberht hießen im frühen Mittelalter keine Wikinger, sondern Franken. Wollte hier jemand seinen Produkten einen exotischen Hauch verleihen? "Vielleicht ist es auch einfach nur ein Kunstprodukt wie der Name 'Kodak', den der Firmengründer George Eastman wählte, weil er kurz und prägnant ist und sich in vielen gängigen Sprachen gut anhört", spekuliert Williams.

Original = +VLFBERH+T, Kopie = +VLFBEHRT+

Mit der richtigen Schreibweise des fremdländischen Markennamens taten sich denn auch die Fälscher schwer. +VLFBERH+T markierte die Werkstatt des echten Ulfberht ihre Klingen. "Alle Schwerter der Studie, die aus Stahl mit diesem phänomenal hohen Kohlenstoffanteil geschmiedet sind, tragen die Aufschrift mit der Endung H+T", erklärt Williams. Auf den Kopien aber ist die Schreibweise oft +VLFBEHRT+. "Das Kreuz hinter dem T ist die typische Schreibweise für Schwerter aus Eisen, bei denen nur die Klingenränder aus Stahl sind."

Wenn der Besitzer eines gefälschten Ulfberht-Schwertes Glück hatte, merkte er die Schummelei beim Schleifen der Klinge. Denn der Stahlmantel war dünn, nach wenigen Schleifgängen stieß er bereits auf den weichen Eisenkern. Die weniger Glücklichen allerdings bemerkten erst auf dem Schlachtfeld, dass sie kein echtes Ulfberht in den Händen führten. "Der hohe Anteil von Schlacke in den minderwertigen Klingen machte das Material spröde", erklärt Williams. "Da konnte es schon vorkommen, dass Stücke von der Klinge bei heftigen Schlägen einfach absprangen."

Das wahre Geheimnis des Tiegelstahls ist seine Schmiedetemperatur. Denn je höher der Kohlenstoffgehalt, desto weniger Hitze braucht der Schmied, um die Klinge zu formen. Wer über dieses Wissen nicht verfügte und versuchte, den Tiegelstahl bei herkömmlichen Schmiedetemperaturen zu bearbeiten, konnte schnell das kostbare Ausgangsmaterial ruinieren.

Belege dafür fanden die Archäologen in Hamwic, der Vorgängersiedlung des modernen Southampton. In der Abfallgrube einer Schmiede lagen dort verschmolzene Klumpen Tiegelstahl. "Die hat der Schmied so überhitzt, dass sie für die Weiterverarbeitung völlig unbrauchbar wurden", sagt Williams.

Allerdings glaubt der Metallurge auch, dass die Ulfberht-Schmiede nicht der einzige Kunde der Wolgahändler war. "Wir müssen damit rechnen, dass es noch viel mehr Schwerter aus Tiegelstahl gab", glaubt er.

Äußerlich ist nicht zu erkennen, ob eine Klinge aus Renn- oder aus Tiegelstahl geschmiedet wurde, erst unter dem Mikroskop offenbart sich die wahre Natur des Materials. "Und wir haben bisher einfach nicht nach Tiegelstahl in nordischen Klingen gesucht."

Als im 11. Jahrhundert das Reich der Samaniden unterging und russische Fürsten die Macht übernahmen, hörte der Handel entlang der Wolga auf. Zur gleichen Zeit stellt auch die Ulfberht-Schmiede die Produktion ihrer Schwerter ein. An Tiegelstahl war nicht mehr zu kommen: "Die späteren Schwerter weisen alle eine komplett andere Mikrostruktur auf."

Der Spiegel, 16.02.2009


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