von Sven Stockrahm | © ZEIT ONLINE 18.12.2008 - 13:13 Uhr
Im Norden Israels haben Wissenschaftler 12.000 Jahre alte Überreste einer Frau gefunden. Die Grabbeilagen zeugen von den Ritualen einer bislang kaum bekannten Kultur
Wer war diese Frau? Und konnte sie mit Geistern und anderen Wesen Kontakt aufnehmen? Fest steht: Die kleine Person von knapp 1,50 Metern wurde kaum älter als 45 Jahre. Ihre letzte Ruhestätte fand sie in der Höhle Hilazon Tachtit, im westlichen Galiläa. Vor allem aber schmücken das Grab im heutigen Israel höchst sonderbare Beigaben – allein 50 Schildkrötenpanzer, dazu die Überreste von Mardern, das Skelett eines Leoparden, Adlerflügel, Wildschweinknochen, ein Kuhschwanz. Und ein menschlicher Fuß.
Es sind dies wohl die Hinweise auf einen Voodoo-Kult im steinzeitlichen Israel - das zumindest glaubt Leore Grosman von der Hebräischen Universität in Jerusalem. Zusammen mit ihren Kollegen entdeckte die Archäologin das 12.000 Jahre alte Grab, 14 Kilometer von der Mittelmeerküste entfernt. "Die Art und Weise, wie das Grab hergerichtet worden ist, legt nahe, dass die Frau eine Schamanin gewesen ist." Die Ruhestätte der Priesterin unterscheide sich deutlich von anderen Gräbern, die aus dieser Zeit im Orient entdeckt worden seien, berichtet Grosman in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazin PNAS.
Die Menschen, die die kleine Frau beerdigten, brachten ungewöhnlich viel Kraft und Mühe auf. Sie schlugen eine ovale Mulde in das harte Gestein und bedeckten das Untere des Grabes mit Lehm. Zusätzlich kleideten sie die Wände mit Kalksteinplatten aus. "Die Tote wurde sehr genau in ihrem Grab positioniert", sagt Grosman. Mit dem Rücken zur Wand, die Beine angewinkelt ähnlich wie im Schneidersitz betteten die Totengräber die Frau. Anschließend beschwerten sie die Tote mit zehn größeren Steinen, legten Tierüberreste und eine Basaltschale ins Grab und verschlossen die Ruhestätte mit einem dreieckigen Kalkstein.
Der bislang einmalige Fund wirft in jedem Fall ein neues Licht auf die sogenannte Natufien-Kultur, die damals in der sogenannten Levante lebte, an der östlichsten Küste des Mittelmeers. "Die Menschen vollzogen hier einen entscheidenden Sprung: von Jägern und Sammlern hin zu einem sesshaften, landwirtschaftlich geprägten Leben", erklärt Klaus Schmidt vom deutschen Archäologischen Institut in Berlin. Viele Experten gingen davon aus, dass die Menschen des Natufiens kaum gesellschaftliche Strukturen kannten und in einer gleichgestellten Gemeinschaft lebten. "Jetzt gibt es erstmals Belege dafür, dass es Menschen gab, die offenbar einen anderen Status im Zusammenleben eingenommen haben."
Der Toten, die für damalige Verhältnisse ein hohes Alter erreichte, wurden allem Anschein nach besondere Kräfte zugeschrieben. Viele frühe Kulturen kennen Schamanen als Botschafter, Heiler und Zauberer. "Sie helfen kranken Menschen und waren Verbindungsstelle zur spirituellen Welt", erklärt Leore Grosman. Neben den Tierüberresten, die sorgfältig im Grab platziert wurden, spreche auch die Tatsache, dass die Alte verkrüppelt war, für ihre Rolle als Schamanin. "Es gibt viele interkulturelle Belege dafür, dass körperlich behinderten Menschen magische und heilende Kräfte zugeschrieben wurden." Verformungen der Knochen der Toten lassen darauf schließen, dass sie von Geburt an eine Gehbehinderung hatte.
Welche Rolle der menschliche Fuß im Grab der Schamanin spielte, darüber rätseln die Forscher indes noch. Sicher ist nur, dass er von einem Erwachsenen stammt, der deutlich größer gewesen ist als die Alte. Auch die tatsächliche Stellung der Priesterin zu Lebzeiten bleibt wohl im Verborgenen. Dennoch: Ihr Grab zeugt von den frühesten spirituellen Ritualen, die Menschen praktiziert haben. Solche Zeremonien sind die Grundlage für das Zusammenleben in Gemeinschaften, die gleiche Vorstellungen teilen. Grosman ist überzeugt, dass ihr Fund die Debatte, wie Menschen vor 12.000 Jahren lebten, neu entfachen wird. Und dies ganz ohne Voodoo-Zauber.